worden und wurde nun als Rückfall in die damalige Zeit, bevor er in die Fremdunterbringung gebracht wur- de, gesehen. Abseits der WG sprach er mit nie- mandem, außer mit den Therapeu- ten im Krankenhaus und mit seinem Therapeuten, der ihn schon länger begleitete. Um Max den schwierigen Alltag zu erleichtern und zu verhin- dern, dass er ständig seine Hände vor die Augen halten musste, um überhaupt gehen zu können, be- kam er eine blickdichte Sonnenbrille, die er nun 24 Stunden trug, um nicht seine Augen zeigen zu müssen. Ge- meinsam mit dem Krankenhaus wur- den Max Etappenziele gesteckt. Die Zeit war für Max enorm hart, denn die Termine im LKH waren eine gro- ße Herausforderung für ihn. Max hat Angst vor Krankenhäusern, Ärzt*in- nen und dem Geruch eines Kran- kenhauses bzw. dem Ton der Sirene und dem Blaulicht. Das führte einmal sogar dazu, dass er beim Radfahren in den Graben stürzte, weil er beim Fahren von einer Rettung mit Blau- licht überholt wurde und dadurch die Kontrolle über sich selbst verlor. Für die Etappenziele, die Max be- kam, war es wieder von enormer Bedeutung, dass er sie auf gewisse Art und Weise selbst in der Hand hatte. Im WG-Alltag wurde so gut es geht versucht, Max trotz seiner Auffälligkeiten in Aktivitäten einzu- bauen (besser einzubinden). Es wur- den wöchentliche Sit-ins mit ihm ge- macht, ihm gezeigt, dass wir für ihn da sind. Auch wenn es in diesen Ein- zelbetreuungsstunden immer nur zu Monologen der BetreuerInnen kam und wir meist stundenlang nur neben Max saßen, so wurde ihm vermittelt, dass jemand für ihn da ist und auch da bleibt, egal was kommt oder ist. * Name wurde von der Redaktion geändert Die einzige Kommunikation mit Max geschah über Laute und Gebärden. So knurrte er, wenn etwas nicht passte. Dies war sowohl für Max als auch für seine Betreuer*innen sehr schwierig und eine absolut heraus- fordernde Zeit. Sein Zimmer wurde so gestaltet, dass er einen sicheren Ort bekam. Er bekam eine Höhle, in die er sich verkriechen konnte und in der ihn niemand sehen konn- te. Auch hatte er sein Zimmer als »Schlüsselparadies« benannt. Dies war gleichzeitig das Zauberwort, um sein Zimmer betreten zu dürfen, wo- bei er dann nach einiger Zeit auf das Zauberwort mit »ja« antworten soll- te. Dies war eines der ersten Schritte, ihn wieder dazu zu bringen, verbal zu kommunizieren, ohne dabei jedoch jemanden ansehen zu müssen. An der Psychosomatik wurde erfasst, dass Max von seiner Vergangenheit eingeholt wurde. Er kommunizierte dort, dass er nicht versteht, warum seine Eltern ihn im Stich gelassen haben und er möchte eine Ent- schuldigung von seinen Eltern für die geschehenen Dinge (eventuell ein Zusammenhang mit der Tatsa- che, dass Max es bis heute nicht schafft, sich bei seinen Mitmenschen zu entschuldigen, wenn er Mist ge- baut hat). Ebenso sorgte er sich um seine Schwestern und sah sich in der Rolle des großen Bruders, der er aber nicht immer gerecht werden kann, da er selbst noch viel an sich arbeiten muss und möchte. Max* sprach nicht und verdeckte seine Augen mehr als sechs Mona- te lang! Durch die gute Zusammenarbeit mit dem LKH und den dort gesetz- ten Schritten, konnte Max seine Auffälligkeiten von Monat zu Mo- nat verändern. Nach einigen Mo- naten konnte er zumindest schon die Brille ablegen und seine Augen zeigen. Danach begann er, verein- zelt wieder mit den Betreuer*innen zu sprechen. Auffällig war hier, dass er zunächst mit den eher neueren Betreuer*innen sprach, die er noch nicht lange kannte. Mit seinen en- geren Betreungspersonen sprach er erst wieder ganz am Schluss. Man konnte beobachten, dass Max in den vielen Monaten des Nicht- redens enorm an Reife gewonnen hatte. Seine Art zu kommunizieren war stark verändert, er konnte sich viel besser ausdrücken und wirkte fast schon erwachsen. Da Max es gerade noch vor dem Übergang zur neuen Mittelschule schaffte, wieder zu kommunizieren, war es ihm ein- facher, den Schulstart zu meistern. Er konnte sich schnell einfinden und bald war auch klar, dass er sich enorm hohe Ziele gesteckt hatte. Er wollte von sich aus seinen sonder- pädagogischen Förderbedarf (SPF) nicht mehr haben und strebte ein »normales« Zeugnis an, denn nach der NMS war für ihn klar, weiter an seiner Ausbildung zu arbeiten. Sein Leitsatz war: Ausbrechen aus dem Rad der Familie und es besser ma- chen. So begann Max damit, seine schu- lischen Aufgaben sorgfältig zu ma- chen und man konnte erkennen, dass er sein Ziel mit hoher Motivation ver- folgte. Nach dem ersten Schuljahr konnte Max in Mathematik bereits ohne SPF in den normalen Regelun- terricht miteinsteigen. Hier wurde für seine Koordinatorin klar, dass es nun der richtige Zeitpunkt war, ihm seine Diagnostik zu zeigen, die vor vielen Jahren gemacht wurde und ihm da- mit einen Push-Effekt zu verpassen, 40 Pädagogik