Intensivpädagogische Herausforderungen
St. Pölten
Am 16. März 2023 veranstalteten wir an der FH St. Pölten die Pädagogische Enquete mit Prof. Menno Baumann, der seinen Impulsvortrag zum Thema "Wer sprengt hier wen und was?" referierte.
Intensivpädagogische Herausforderungen bringen die Pädagog*innen im Alltag häufig in Schwierigkeiten und eine spannungsvolle Beziehung mit dem "Hoch-Risiko-Klientel" – das ist eine fachliche Bezeichnung für Kinder und Jugendliche, die in den Augen des Hilfesystems manchmal zu "hoffnungslosen Fällen" werden. Die Spannung bei den Pädagog*innen besteht zwischen einem Gefühl der Ohnmacht und der gewollten Handlungsfähigkeit.
Handeln ist Erfolg
Menno Baumann ist Professor für Intensivpädagogik an der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf und seit vielen Jahren im Bereich Kinder- und Jugendhilfe forschend und beratend tätig. Neben zahlreichen Veröffentlichungen erschien 2021 das Buch "Verstehende Diagnostik." Er hielt bei der Tagung den Impulsvortrag unter dem Thema "Wer sprengt hier wen oder was?"
Störende Verhaltensweisen analysiert er als Prozessgeschehen zwischen psychosozialer Beeinträchtigung (der Klient*innen), Pädagog*innen und dem Bezugssystem (Gruppe, Klasse …) – und das inmitten eines gesellschaftlichen Kontextes. Abbruch-, Ausschluss- und Entwertungserfahrungen zeigen häufig die Ohnmacht und das Scheitern im Hilfesystem. In der Jugendhilfe gilt aber: Das Gegenteil von Scheitern ist nicht der Erfolg, sondern das Handeln.
Psychische und physische Stabilität fördern
Unsichere Bindungserfahrung wird nach Baumann als Risikofaktor für spätere psychische und soziale Probleme gesehen. Bei Untersuchungen zum Bindungsverhalten bei Kindern mit Verhaltensstörungen zeigte sich, dass lediglich sieben Prozent der Kinder "sicher gebunden" waren. Im Sinne der Bindungsdynamik entstehen dadurch oft Muster von regressivem Verhalten oder auch Kontrollverhalten und die Bindung zu unterschiedlichen Bezugspersonen kann unterschiedliche Strategien provozieren.
Das pädagogische Handeln im professionellen Kontext sieht Professor Baumann als einen Balanceakt zwischen rollenkonformem Verhalten einerseits und hoher Authentizität und Emotionalität andererseits. Für die Zielgruppe aber auch für das Hilfesystem braucht es daher "intensivpädagogische" Angebote um psychische und physische Stabilität zu fördern.
Podiumsdiskussion mit vielfältigen Perspektiven
Im anschließenden Podiumsgespräch wurden unter Beteiligung des Fachpublikums Aspekte des Vortrages bzw. der Betroffenheit und eigene Erfahrungen diskutiert.
Menno Baumann sprach sich vor allem dafür aus, die "richtigen" Fragen zu stellen, um zu wirksamen Antworten kommen zu können. Die niederösterreichische Landesrätin für Soziale Verwaltung, Ulrike Königsberger-Ludwig, dankte für den pädagogischen Blick auf die Klient*innen und dafür, nicht die Defizitorientierung in den Vordergrund zu stellen. Sie formuliert edie Bereitschaft zur Weiterentwicklung guter Ideen in der Kinder- und Jugendhilfe in Niederösterreich.
Die Direktorin des Bundesinstituts für Sozialpädagogik Baden und Chefredakteurin der "Sozialpädagogischen Impulse", Prof.in Karin Lauermann, hält beim Fachpersonal das Grundlagenwissen aber auch dessen Umsetzung im Sinne einer verstehenden Haltung für unabdingbar. Der Geschäftsführer des Arbeitskreises "Noah", Herbert Siegrist steht für eine Praxis, dass bei einem Abbruch der pädagogischen Maßnahme (z. B. Unterbringung) im Anschluss Unterstützung geboten wird.
Andrea Scharinger, die Gastgeberin und Geschäftsführerin von Pro Juventute, betonte die Schwierigkeit, in einer altersgemischten Gruppe allen, auch besonders herausfordernden Kindern und Jugendlichen, gerecht zu werden und forderte Eltern-Begleitfachdienste für alle stationär untergebrachten Kinder und Jugendlichen.
Mit der Pädagogischen Enquete will Pro Juventute eine Plattform des fachlichen Impulses und des Austausches für die Entwicklung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen in Österreich bieten.
- Nachlese: Pädagogische Enquete 2022
- "Kurier": "Individuelle Betreuung für "hoffnungslose Fälle"
- OÖN: "Systemsprenger" in der Jugendhilfe
- Niederösterreich heute: Wege aus der Krise für Kinder und Jugendliche
- ORF.at: Wie Junge aus der psychischen Krise finden